Aussenbeziehungen

Trotz aller Liebe – Wie verarbeitet ein Paar eine Aussenbeziehung?

von Suzanne Hüttenmoser Roth

Viele Paare bitten mich um therapeutische Unterstützung, weil er oder sie eine Aussenbeziehung hat oder kürzlich gehabt hat. In diesem Zusammenhang werde ich immer wieder gefragt, wie viele Menschen überhaupt fremdgehen? Ob es Statistiken zu ausserehelichen Beziehungen gebe? Ob Männer eher zur Untreue neigten als Frauen? Können solche Fragen überhaupt untersucht werden? Gibt es eindeutige Zahlen oder nur Spekulationen?

Derartige Fragen beschäftigen auch die an sozialen und psychosozialen Strukturen interessierten WissenschaftlerInnen. Sie untersuchen solche Fragen vor allem mit Hilfe von anonymen Meinungsumfragen.

Der Biologe Kinsey fand 1948 heraus, dass 50 % der amerikanischen Männer aussereheliche Kontakte gehabt haben. 1953 gaben 26 % der amerikanischen Frauen an, untreu gewesen zu sein.

Nach einer niederländischen Umfrage von Kooy (1983) hatten rund 25 % der Männer und 15 % der Frauen während der Ehe eine Aussenbeziehung.
Eine andere Meinungsumfrage ergibt, dass 50 % aller Verheirateten untreu seien, davon 37 % Männer und 20 % Frauen, obwohl die meisten Menschen vom Wert der Treue überzeugt sind.

Eine andere Studie von Dijkstra (2001) ergab, dass in den Niederlanden und Belgien 5 % der Bevölkerung fremdgegangen ist.

Wir sehen, dass verschiedene Untersuchungen unterschiedliche Resultate ergeben, so dass diese Zahlen nicht auf die Allgemeinheit übertragen werden können. Besser gesichert ist der Befund (Drigotas 1999, Riehl-Emde 1998), wonach sexuelle Aussenbeziehungen bei den befragten Betroffenen als Hauptgrund für eine Trennung oder Scheidung angegeben wird, unabhängig von Alter, Geschlecht und Dauer der Ehe. Interessant ist, dass nur 15 % der untreuen Partner/-innen, die sich getrennt haben, anschliessend mit der Person, mit der sie eine Aussenbeziehung hatten, zusammenleben oder diese heiraten.

Aus Aussagen von Therapeut/-innen geht deutlich hervor, dass das Selbstbild und das Selbstvertrauen des betrogenen Teils des Paares leidet, vor allem wenn es nicht nur ein einmaliger Seitensprung war, sondern er oder sie schon mehrere Male mit einer Aussenbeziehung zu tun hatte.

Die meisten Partner/-innen, die von der Aussenbeziehung erfahren, sind zutiefst enttäuscht und gekränkt. Sie werden von einer Flut von Gefühlen überwältigt: sie fühlen sich verraten, beschämt, bedroht, betrogen, verlassen und verloren. In ihrem Erleben ist so etwas wie die Unschuld der Beziehung verloren gegangen. Die betrogenen Partner/-innen erfahren einen umfassenden Kontrollverlust und haben das Gefühl, sich selbst zu verlieren. Viele reagieren mit Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Selbstdemütigungen, einige entwickeln Selbstmordgedanken. Gefühle wie Angst, Schmerz und Wut wechseln sich ab.
Nach dem Bekanntwerden der Affäre erlebt auch der untreue Teil des Paares oft eine Phase der Krise und ein Gefühlschaos, das verschiedene Reaktionen auslösen kann. Manche haben starke Schuldgefühle und sagen mir dann in der Therapie, dass sie nie von sich gedacht hätten, dass sie so etwas tun würden, weil sie es selber ablehnen. Oder sie haben Schuldgefühle, weil sie ihren Partner oder ihre Partnerin damit stark verletzt haben. Die Angst vor dieser Verletzung geben einige auch als Grund an, weshalb sie die Aussenbeziehung gegenüber ihrem festen Partner so lange verschwiegen, verleugneten oder abstritten, was oft beim betrogenen Partner noch mehr Schmerz und Vertrauensverlust auslöst.

Manche untreue Partner/-innen bereuen es, dass die Affäre bekannt geworden ist, andere sind erleichtert, dass es endlich kein Geheimnis mehr ist und das Verstecken ein Ende hat. Nach der Aufdeckung der Aussenbeziehung erleben sie aber oft eine starke emotionale Hin- und Hergerissenheit und stehen unter massivem Entscheidungsdruck. Sie fühlen sich häufig isoliert und können nicht auf Verständnis und Mitgefühl hoffen, speziell nicht vom betrogenen Partner. Wie der betrogene hat auch der untreue Teil des Paares Ängste, was werden soll, vor dem Verlust der Partnerschaft oder der Familie und vor dem Risiko, eine falsche Entscheidung zu treffen.

Wenn ein Paar in dieser Phase des Bekanntwerdens der Affäre notfallmässig in die Paartherapie kommt, ist es sinnvoll ihnen aufzuzeigen, dass das Gefühlschaos, die Verunsicherung und andere Symptome, die sie gerade erleben, normal sind für diese Situation und dass es jetzt wichtig ist, keine unüberlegten und zu schnellen Entscheidungen zu fällen. Impulsive Entscheidungen sind in den meisten Fällen auf lange Sicht nicht positiv.
Es geht zuerst um eine Krisenintervention: den Prozess verlangsamen, sich als Paar Zeit nehmen für die wichtigen Entscheidungen. Wenn starke emotionale Konflikte da sind, die das Zusammenleben belasten oder fast unmöglich machen, kann es sinnvoll sein, dass sie sich eine Auszeit im Zusammenleben nehmen und eine Person zeitweise bei den Eltern oder bei Freunden wohnt. In dieser Phase ist es wichtig, dass das Paar zu einer Einigung kommt, wie viel Zeit sie sich geben können für die Entscheidung, ob sie nach dieser Verletzung wieder ein Paar werden möchten oder auseinander gehen.

Im Wesentlichen ergeben sich für die Paartherapie nach dem Bekanntwerden der Aussenbeziehung folgende Zielbestimmungen (vgl. Retzer 2007):
1. Die Paartherapie soll das Chaos der akuten Krise einer Paarbeziehung ordnen und stabilisieren.
2. Die Paartherapie soll der Zielerreichung unterschiedlicher individueller Ziele der Partner/-innen dienen.
3. Die Paartherapie soll dem Paar nach einer oder mehrerer Affären zu einem Neuanfang verhelfen.

Jellouschek (1997) betont, dass es unergiebig ist und eine gute Lösung erschwert, wenn sich ein Paar in die Schuldfrage verbeisst und sich gegenseitig moralische Vorwürfe macht. Nach tieferen Ursachen innerhalb der Beziehung zu forschen, kann eine Chance sein, damit die Affäre Anlass zur Neubesinnung gibt und ein Neuanfang als Paar möglich wird. Um zu einer guten Lösung zu kommen braucht es Zeit, Kraft und Geduld, um eine ungeklärte Situation einige Zeit auszuhalten.

Die Verarbeitung einer Aussenbeziehung kann erst beginnen, nachdem die Affäre beendet ist. In der ersten Zeit der Verarbeitungsphase haben oft beide Teile des Paares unrealistische Erwartungen aneinander. Der untreue Partner erwartet, dass der betrogene Partner das Vorgefallene und die Vergangenheit sofort vergisst und keinerlei Fragen mehr stellt. Er oder sie will vor allem in Ruhe gelassen werden. Der betrogene Teil des Paares hingegen fühlt sich oft Stimmungsschwankungen unterworfen und kann immer wieder einmal emotionale Ausbrüche haben und das Bedürfnis darüber zu reden, um verarbeiten zu können. Es ist eine Kunst, die Verletzungen innerhalb einer Beziehung gemeinsam zu verarbeiten. An erster Stelle muss ein Paar lernen, miteinander zu reden und vor allem einander zuhören können.
In dieser für das Paar sehr schwierigen Zeit kann es hilfreich und angemessen sein, professionelle Hilfe in Form von Paartherapie und / oder Einzeltherapie in Anspruch zu nehmen. Zuversichtlich stimmt die Ansicht von Willi (2002), dass eine Beziehung, die eine Affäre überlebt, meist gestärkt daraus hervor geht.

Rituale können die Verarbeitung festigen und helfen die Vergangenheit abzuschliessen. Luyens und Vansteenwegen (2006) empfehlen folgende Schritte für ein Ritual der Versöhnung:
1. Sich miteinander über seine Erfahrungen und Gefühle austauschen.
2. Versuchen, wirklich zu begreifen, was der / die Andere erlebt hat.
3. Schuldanerkennung und eine Art von Entschuldigung (dem Anderen mitteilen, dass es einem Leid tut, ihn oder sie verletzt zu haben).
4. Partner/-innen sagen sich gegenseitig, dass sie die Vergangenheit hinter sich lassen wollen.
5. Anschliessend unternimmt das Paar etwas Gemeinsames, das beiden gefällt (Ausflug, spezielles Wochenende, einen besonderen Abend) als symbolischen Abschluss der Vergangenheit.

Das Paar muss in der neu gefundenen Beziehung ein neues Gleichgewicht finden, immer wieder den positiven Umgang miteinander stärken und eine gemeinsame Zukunftsperspektive entwickeln. Wichtig ist, dass beide lernen einander gut zuzuhören und einander ihre Bedürfnisse mitzuteilen.

Weiterführende Literatur für Interessierte:
Hans Jellouschek (1997): Warum hast du mir das angetan? Untreue als Chance. Piper, München
Maureen Luyens, 
Alfons Vansteenwegen (2006) : Trotz aller Liebe. Wie überstehen wir den Seitensprung? Carl-Auer, Heidelberg

 

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